Frieden schaffen ohne Waffen, dafür mit Verhandlungen: Arthur Francks Dokumentarfilm erinnert unterhaltsam an die KSZE-Verhandlungen vor 50 Jahren – und ist damit überaus aktuell.
Die europäische Sicherheit bereite ihm Sorgen, sagt Richard Nixon zu Henry Kissinger. „Wir sind da schon ziemlich tief drin“, antwortet der knapp. „Ich weiß. Lass mich dir eines sagen: Wenn es europäische Sicherheit gibt – dann kannst du die NATO so gut wie vergessen.“
Dieser Dialog zwischen US-Präsident und seinem Außenminister ist einer der interessantesten Momente des neuen Dokumentarfilms „Der Helsinki Effekt“ von Arthur Franck.
Eine Welt in starren Blöcken
Die Welt im Jahre 1975 war in starre Blöcke geteilt – ideologisch, ökonomisch, machtpolitisch. Auch wenn der Kalte Krieg seit Ende der Sechzigerjahre ein Tauwetter erlebte, schwebte immer noch die Drohung gegenseitiger atomarer Vernichtung über der Welt.
Darum ging es beim KSZE-Abkommen, das am 2. August 1975 in Helsinki von 35 Staaten verabschiedet wurde: Um Abrüstung, gegenseitige Sicherheitsgarantien und um die kleinen menschlichen Dinge, wie Reisefreiheit.
Archivmaterial und KI-generierte Stimmen
All das schildert „Der Helsinki Effekt“ sehr unterhaltsam und leicht konsumierbar. Regisseur Arthur Franck arbeitet dabei ausschließlich und teils mit ungewöhnlichem Archivmaterial. Der Schauspieler Bjarne Mädel dient als Erzähler, doch KI-generierte Stimmen der Beteiligten bringen die Abschriften der diplomatischen Dialoge in Ton-Form.
In einer Szene erzählt der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew, seine Ehefrau hätte ein Bild von Kissinger gesehen und gesagt, er habe ja abgenommen. Kissinger attestiert Breschnew daraufhin: „Ihre Frau ist eine großartige Diplomatin.“
Es ist einer von vielen Momenten in diesem Film, der die Staatsmänner aller Seiten als Menschen zeigt. Als ganz normale Leute, die über ihr Gewicht, über ihre Familie, über Pepsi Cola reden – und über Dritte lästern, die gerade nicht im Raum sind, egal welchem Block sie angehören.

Ein Film in zwölf Kapiteln
„Der Helsinki Effekt“ erzählt in zwölf Kapiteln von der Kunst der Diplomatie und von einer Konferenz, die viel veränderte. Vor allem ist der Film aber ein Lob und eine Verteidigung der Diplomatie. Franck zeigt: Um Konflikte zu lösen und Gewalt zu vermeiden, muss man verhandeln.
Solche Verhandlungen erfordern den Willen beider Seiten, Kompromisse zu schließen. Wohlgemerkt: beider Seiten! Es geht in der Diplomatie also nicht um Gut und Böse, oder ums Recht haben. Es geht darum, dass Länder sich über gemeinsame Interessen verständigen.
Franck gibt sich Mühe, dieser Staatskunst ihre Würde zu geben, und einen Sinn für den Ernst der damaligen Verhandlungen wecken.

Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit
Man entwickelt beim Zuschauen schnell eine große Sehnsucht nach dieser Zeit. Natürlich liegt es nahe, zu meckern: Kaum eine Frau taucht in dieser Welt auf. Es war die Zeit, in der Männer Geschichte machten: Sie sprachen miteinander, sie verhandelten, es ging um die Wirklichkeit, nicht um Moral.
Die Tatsache, dass diese Männer manchmal zu viel tranken und schlechte Witze über Frauen machten, führte vielleicht auch dazu, dass Atombombeneinsätze und Weltkriege verhindert wurden. Jedenfalls wurde über alle ideologischen Differenzen hinweg miteinander gesprochen, Kompromisse wurden gefunden. Und man legte dabei einen großen Ernst an den Tag.






Mängelanzeige für die heutigen politischen Verhältnisse
Diesen Ernst und diese Verhandlungsoffenheit in den Auftritten heutiger Politiker zu finden, fällt manchmal schwer. So funktioniert dieser Film auch wie eine Mängelanzeige für die heutigen politischen Verhältnisse.
Arthur Francks Film ist keineswegs perfekt. Aber er zeigt schmerzhaft auf, was unserer Gegenwart fehlt.
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