Obwohl das Buch Hiob zu den vielleicht populärsten Erzählungen aus dem Alten Testament gehört, wurde es bisher musikalisch wenig genutzt. Vor acht Jahren hat die schottische Komponistin Judith Weir ein komplettes Oratorium über den Bibeltext geschrieben. Studentinnen und Studenten der Yale Schola Cantorium haben es jetzt zum ersten Mal aufgenommen.
Hiob ist noch nicht von aller Welt verlassen: Seine vielen Kinder wurden zwar von Gott dahingestreckt, sein Haus zerstört und er und seine Frau leiden fürchterlich. Aber Freundinnen und Freunde kommen zu Besuch, helfen mit Kleidung und Essen und bleiben sieben Tage und Nächte an ihrer Seite.
Sie reden Hiob gut zu: „Siehe, wohl dem Menschen, den Gott straft! Darum verwirf die Züchtigung des Allmächtigen nicht!“
Jede musikalische Wendung hat eine eigene Bedeutung
Jedes einzelne Instrument, jede Stimme, jede musikalische Wendung hat in Judith Weirs Oratorium „The Land Of Uz“ eine eigene Bedeutung.
Der gezupfte Kontrabass und die unbekümmert tanzende Saxophon-Melodie geben dem hoffnungsfrohen Zuspruch der Freundinnen und Freunde einen jazzigen Unterton, darüber singen sie ihre Melodie in versetzten Quarten wie im gregorianischen Organum.
Die Bratsche als Alter Ego von Hiob
Wenn Hiob einsetzt, verändert sich die tonale Stimmung komplett. Im Duett mit der Bratsche erzählt er von seinen Leiden. Das Instrument fungiert im gesamten Oratorium als sein wortloses Alter Ego.
Durch diese vielen instrumentalen, musikalischen und ästhetischen Wechsel hört sich das Werk an wie ein musikalischer Krimi. In der kleinen Besetzung mit Orgel, Bratsche, Saxophon, Trompete, Kontrabass und Tuba bleibt die Musik stets durchsichtig.
Es ist fast so, als würden alle Stimmen und Klangfarben wie eigene Charaktere auf einer imaginären Bühne auf- und abtreten. Ohne Bilder gezeigt zu bekommen, entstehen so lebendige Szenen vor dem inneren Auge.
Technisch teilweise sehr schwer zu singen
Judith Weir schreibt, dass das Werk, das sie für die BBC Singers komponiert hatte, technisch teils extrem schwer zu singen ist: Um diese Musik umzusetzen, braucht es also ein wirklich herausragendes Ensemble.
Die Schola Cantorum, die David Hill leitet, besteht zwar aus Studierenden der Yale University, aber das macht auf dieser Aufnahme überhaupt keinen qualitativen Unterschied zu etablierten Profi-Ensembles.
Die Musikerinnen meistern nicht nur die technisch kniffligen Momente souverän, sondern spielen und singen dazu noch mit bemerkenswertem kollektivem Ausdruck. In „Where Is Wisdom?“ klingen sie wie ein Solistenensemble auf einer Opernbühne.
Ebenfalls auf dem Album: Amy Beachs „The Canticle of the Sun“
Auf ihrem Album stellen die Musikerinnen Judith Weirs Oratorium neben die 90 Jahre ältere Hymne „The Canticle of the Sun“ von Amy Beach. Das Werk basiert auf dem Sonnengesang von Franz von Assisi, in dem er Gott für die Natur dankt, aber auch über das menschliche Leiden und den Tod nachdenkt.
Amy Beach schreibt einen siebensätzigen Lobgesang, unter anderem auf die, „die Schwäche und Trübsal ertragen (…), die friedlich ausharren, denn Du, der Höchste, wirst ihnen die Krone geben.“
Regt zum Nachdenken über den Hiob in uns selbst an
Die beiden Werke antworten inhaltlich und ästhetisch aufeinander. Wie auch Hiob trotz seines Unglücks nicht vom Glauben abfällt und seinen Gott nach wie vor preist und anbetet, so tut das auch die Kirchenmusik.
Diese Aufnahme lädt dazu ein, über den Hiob in uns selbst nachzudenken oder einfach nur ein fantastisches Oratorium kennenzulernen, das hoffentlich noch öfter zu hören sein wird.