Herta Lueger war Münchens bekannteste Stardomina, als Opfer sah sie sich nie. Ihre Autobiografie, die sie gemeinsam mit ihrer Tochter verfasst hat, gibt Einblicke in die Münchner Szene der 70er und 80er.
Anfang der Neunzigerjahre stand Herta Lueger in München vor Gericht, wegen Zuhälterei. Damals war Sexarbeit in Deutschland noch verboten, offiziell war Bayerns Landeshauptstadt ein einziger Sperrbezirk. Doch die Münchner Sexclub-Betreiberin und Stardomina hatte Glück.
Unter der Auflage, aus dem Geschäft auszusteigen, kam sie mit 15 Monaten Bewährung davon. Und hatte so die Gelegenheit, sich noch einmal neu zu erfinden: mit einem Friseursalon für Münchens High Society und als Visagistin von Stars wie Hildegard Knef.
Dass sie zuvor 20 Jahre lang führend in der Szene gewesen war, war dem Richter offenbar nicht bekannt gewesen – er hätte es der damaligen Mittvierzigerin wohl auch nicht zugetraut. Schließlich rätselte er noch bei der Urteilsverkündung, wie eine wie sie denn nur ins Milieu gekommen sei. Es müsse ihr doch schwergefallen sein?
Das gängige Vorurteil besagt, dass die meisten Frauen in diesem Geschäft schwache Menschen sein müssen. Doch ich habe mich nie als Opfer empfunden. Ich dachte eher, wenn die anderen das können, kann ich es auch.
Besonderer Fall weiblicher Selbstermächtigung
„Bardame gesucht, Zimmer vorhanden“: Unter diesem Titel hat Herta Lueger nun ihre Autobiografie vorgelegt. Geschrieben hat sie sie mithilfe ihrer Tochter, der Schauspielerin Patricia Lueger.
Erschienen ist das 250-Seiten-Werk im renommierten Verlag Matthes und Seitz, und das durchaus zurecht: Schließlich geht es hier um einen faszinierenden Einblick in ein Stück deutscher Sitten- und Milieugeschichte. Und zugleich um einen besonderen Fall weiblicher Selbstermächtigung.
Erstaunlich ist Herta Luegers Lebensweg auch mit Blick auf ihre Herkunft: Geboren 1947 im österreichischen Burgenland, sei für sie als Frau ein ganz anderes Leben vorgesehen gewesen, erinnert sich die heute 78-Jährige: Schuften auf dem Rübenacker, früh heiraten und Kinder kriegen.
So kam es denn zunächst auch, nur dass sie anstelle des Ackers den Friseursalon wählte. Doch nach ihrer Scheidung von ihrem ersten Mann, einem Alkoholiker, versuchte sie 1972 ihr Glück in München, wo sie aus Zufall einen Job als Bardame fand. Um als damals noch naive junge Frau vom Land aus dem Staunen nicht mehr herauszukommen.
Das Geschäft als Domina lernte Herta Lueger über eine Freundin kennen und fand rasch Gefallen daran: nicht nur, weil hier Berühren verboten war. Sondern auch, weil sie mit ihrer Peitsche ein Ventil für ihren Frust über die patriarchalen Verhältnisse fand.
Im richtigen Leben empfand ich mich als liebevolle Ehefrau und Mutter, im Studio war ich wie ausgewechselt. Aus meiner Zeit im Burgenland hatte ich noch eine Menge Wut auf manche Männer, und die ließ ich im Studio raus.
Augenarzt spielte Zofe
Zu ihren Gästen zählten Banker, Landwirte, Anwälte und erstaunlich viele Ärzte. Wie jener Augenarzt, der sich immer als Zofe verkleiden wollte. In ihrem eigenen Club herrschte, wie überall im Milieu, die Kunst der Illusion:
Freiern wurde Sex vorgegaukelt, der real gar nicht stattfand; eine „heiße Spanierin“ stammte in Wahrheit aus Niederbayern, und auch im SM-Studio musste die Inszenierung perfekt sein.
Und zwar bis zuletzt. Einmal habe sie einem älteren Gast beim Abschied in den Mantel geholfen: ein fataler Fehltritt einer „Herrin“ gegenüber ihrem „Sklaven“, so Lueger.
Ihre Autobiografie ist eingängig geschrieben, unterhaltsam zu lesen und randvoll mit komischen Anekdoten. Doch bleibt einem das Lachen mehr als einmal im Halse stecken.
Denn auch wenn man über die Schattenseiten des Milieus gern noch mehr erfahren hätte, verschwiegen werden sie nicht, im Gegenteil: Gleich das erste Kapitel erinnert an eine junge Prostituierte, die ermordet wurde.
Sie selbst sei immer „wie auf Wolken über allen Gefahren geschwebt“, erinnert sich Herta Lueger. Wie viel Glück sie zeitlebens hatte, ist der heute 78-Jährigen also wohl bewusst.
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