Hinter der scheinbar simplen NEON-Lichtschrift steckt ein ganzer Kosmos: Joseph Kosuth ist Pionier der sogenannten Konzeptkunst, die als Protestbewegung gegen den Kunstbetrieb der 1960er-Jahre entstand. Das Stuttgarter Kunstmuseum widmet dem US-Künstler, der zeitweise an der städtischen Kunstakademie lehrte, anlässlich seines 80. Geburtstags eine Ausstellung.
Bei Kosuth geht es um die Kunst als Idee
Die erste Begegnung mit diesem Künstler, besser gesagt mit seinem Kunstwerk, macht einfach nur gute Laune. „NEON“ steht da in großen Lettern geschrieben. Das Wort geformt aus weißen Neonröhren.
Eine geniale Idee, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn für Joseph Kosuth zählt eigentlich nicht das Schriftobjekt, das da so neon-keck vor der Wand steht. Ihm geht es um die Kunst als Idee. Und die macht in diesem Fall Sprache sichtbar. Eine frühe Arbeit, die Joseph Kosuth jetzt noch einmal mit einem besonderen Kommentar gewürzt hat.
„Das Schöne ist auch, dass er die Titel verändert und noch mal ein bisschen zugespitzt hat“, erklärt Ulrike Groos, Direktorin des Stuttgarter Kunstmuseums. So schrieb er zu seinem Werk NEON von 1965 „selfdefined“, selbst definiert, „weil das wirklich selbsterklärend ist.“

Fünf Wörter und fünf Farben
Auch eine andere Arbeit von 1965 hat es der Museumsdirektorin angetan: „Five Words And Five Colors“, ebenfalls absolut selbsterklärend ist. „Da hat er den Zusatz gemacht: ‚A Description‘. Es ist ihm sehr wichtig, mit Sprache und Worten ganz genau umzugehen und zu differenzieren“, ergänzt Groos.
Der Klassiker „Five Words And Five Colors”, auch in Stuttgart zu sehen, funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Fünf Wörter in Neonschrift: das erste in rot, das zweite in violett, das dritte in grün, das vierte in gelb und das fünfte in blau. Fünf Wörter und fünf Farben. Wie gesagt: eine geniale Idee.

Weitergedacht zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem
Bei der zweiten Begegnung mit diesem Künstler heißt es ein wenig um die Ecke denken. Mit dem Werk „One And Three Chairs“ hat Joseph Kosuth vor 60 Jahren seinen Ruhm als Konzeptkünstler begründet. Es besteht aus einem Stuhl, einem Foto des Stuhls und einem Lexikonartikel, der das Wort „Stuhl“ beschreibt.
In Stuttgart ist ein ähnliches Werk zu sehen, allerdings um eine kleine, pfiffige Idee weitergedacht: Ein klassischer 1950er-Jahre-Holzaktenschrank steht da. Links daneben an der Wand ein Foto des Aktenschranks in derselben Größe und Höhe. Rechts daneben ein vergrößerter Lexikon-Artikel – nicht zum Aktenschrank, sondern zum Stichwort „File“ (Akte). Eine überraschende Wendung, die einen anerkennend schmunzeln lässt.

Joseph Kosuth beschäftigte sich mit Appropriationsstrategien
Und bei der dritten Begegnung mit diesem Künstler wird es tricky: da stellt sich die Welt auf den Kopf: „Joseph Kosuth ist einer der ersten Künstler, der sich mit Appropriationsstrategien beschäftigt hat“, erklärt Ulrike Groos. „Das klingt jetzt etwas kompliziert, aber im Grunde geht es darum, sich etwas anzueignen, etwas zu verwenden, etwas zu kopieren: vorgefundene Materialien, vorgefundene Texte, Bilder.“
Die Arbeit, ein auf den Kopf gestellte Porträt einer Frau aus der Renaissance-Zeit im Stil Alter Meister, ist geheimnisvoll und wirft Fragen auf. Da hilft auch die Bildunterschrift nicht weiter. Joseph Kosuth will seine Kunst nicht erklären. Im Gegenteil: Er fordert sein Publikum heraus.

Arbeiten zwischen Installation, Text und Satzfragmenten
„Investigationen“ heißt denn auch eine sehr originelle Installation: sechs identische Tische, Stühle und Wanduhren sind entlang der Wand platziert. Auf jedem Tisch liegt ein Ringbuch mit Sprachrätseln, wie sie in einem Einstellungstest oder in der Schule vorkommen könnten. Hier darf man Platz nehmen und sich den Kopf zermartern. Ein Trainingslager für Rätselfreaks.
Und es geht noch mehr: es gibt reine Textarbeiten, die sich mit der Mehrdeutigkeit von Begriffen beschäftigen, dann wieder Texte, die aus Satzfragmenten bestehen, scheinbar unlogisch und doch voller philosophischer Erkenntnisse stecken.

Konzeptkunst von Josef Kosuth setzt eben nicht auf Farben, Formen oder Materialien, meint die Direktorin des Kunstmuseums Ulrike Groos: „Er will sich auf Bedeutung, auf Textsprache konzentrieren. Das heiß,t man findet sehr viele Zitate von Wittgenstein, Textfragmente von Beckett, und dann gibt es Walter Benjamin und Sigmund Freud in der Ausstellung. Und es ist mit Sicherheit anspruchsvoller.“
Man müsse mehr denken, so Ulrike Groos, „aber Gedankenerkenntnisse sind ja auch etwas, was einen wirklich euphorisiert wieder aus so einem Raum entlässt.“
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