Die Künstlerin packt ihre Gesellschaftskritik gerne in vielschichtige Installationen. Nun hat sie einen Raum in eine surreale Szenerie voller grinsender Katzen verwandelt.
Was ist denn hier passiert? Im Projektraum der Städtischen Galerie Karlsruhe liegen wild aufeinander geworfen dutzende von Schaumstoffmatratzen. Obendrauf, untendrunter und daneben sitzen oder liegen seltsame, überlebensgroße Katzen-Wesen.
Ihre Oberfläche besteht aus vielen verschiedenen Stoff-Teilen, bedruckt mit Fotos menschlicher Haut. Die Pfoten sind aus zusammengeknautschten, menschlichen Händen und Füßen geformt. Und auch ihre Gesichter tragen Augen, deformierte Nasen, Ohren und Münder von Menschen.

Sie spiele gerne mit Ambivalenzen und Gegensätzen, sagt die Künstlerin Lea Gocht. Gerne packt sie ihre Gesellschaftskritik in aufwändige, vielschichtige und raumfüllende Installationen, die immer auch eine Prise Sarkasmus beinhalten.
2024 wurde sie für ihre Arbeiten mit dem „Werner-Stober-Kunstpreis“ ausgezeichnet, der an besonders begabte Absolventinnen und Absolventen der Kunstakademie Karlsruhe verliehen wird und mit 5.000 Euro dotiert ist.
Jetzt hat die 30-Jährige den Projektraum der Städtischen Galerie Karlsruhe in eine surreale Szenerie voller grinsender Katzen verwandelt.

Fake-Raum zwischen Drinnen und Draußen
Nicht nur die Figuren, die den Raum bevölkern irritieren, auch der Bodenbelag ist merkwürdig ambivalent. Die Künstlerin hat den Holzfußboden des Projektraums mit rund zehntausend kleinen Fotos beklebt: Fotografien von Straßenasphalt und Kopfsteinpflaster. Zwischendrin Pfützen, Gullydeckel, welke Blätter und Zigarettenkippen.
Dadurch entsteht ein seltsamer Fake-Raum zwischen Drinnen und Draußen. Liegen die Matratzen auf der Straße? Und warum liegen überall Kichererbsen lose oder in Dosen herum? Sind das die letzten Lebensmittelvorräte nach einer wie auch immer gearteten Katastrophe?
„In der Corona-Pandemie haben die Leute angefangen zu hamstern“, erklärt Lea Gocht. Sie habe sich daraufhin in die Prepper-Szene eingelesen. Dass Krisen und Verunsicherung egoistisches Handeln und Weltuntergangsfatansien auslösen, findet Ausdruck in ihren Katzenfiguren, die Kichererbesen-Dosen bewachen.
Auseinandersetzung mit multiplen Krisen unserer Zeit
Lea Gocht setzt sich in ihren künstlerischen Arbeiten schon seit einiger Zeit mit den multiplen Krisen unserer Zeit auseinander: mit Kriegen, Radikalisierungstendenzen, Vereinsamung und drohendem Klimakollaps.
Gerade in ihrer Generation erlebe sie viele Ängste und Depressionen, sagt die Künstlerin. Deswegen heißt ihre Rauminstallation auch „anhedonia II“ – ein Fachausdruck dafür, dass depressive Menschen, kaum noch Freude empfinden können.

Aber Lea Gochts Arbeit allein auf Krisenbewältigung zu reduzieren, würde zu kurz greifen: denn in dieser skurrilen Szenerie steckt auch feministische Ansätze. Beispielsweise hat die Künstlerin die Haut ihrer Katzenfiguren aus lauter zusammengepuzzelten Fotos weiblicher Körper zusammengenäht: ein Verweis auf gefakte Fotos und vermeintlich perfekte Körper.
Eine der Katzen thront auf einem Matratzenberg, unter den die Künstlerin lauter Kichererbsen geschoben hat. Ein Seitenhieb auf die Prinzessinnen-Träume, die kleinen Mädchen auch heute noch untergeschoben werden.
Von Katzenfiguren zu Kuscheltieren
Von der Matratze und den Katzenfiguren war es auch nicht weit zu Kuscheltieren, erklärt Lea Gocht. Objekte, die Kindern Geborgenheit geben, von denen sie sich aber irgendwann lösen müssen, um sich der Realität zu stellen. So wie die Gesellschaft es jetzt auch tun sollte, meint die Künstlerin:
Viele Krisen, die wir erleben, beruhen darauf, dass wir nicht das tun, was wir eigentlich wissen. Vielleicht ist das Abnabeln vom Kuscheltier mal wieder nötig.
Wer sich drauf einlässt, wird großen Spaß haben, diesen vielen Assoziationen der Künstlerin nachzuspüren und sich ihr vielschichtiges, begehbares Kunstwerk zu erschließen. Gerade, weil Lea Gocht bei aller Gesellschaftskritik eine Prise Humor einstreut.
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Gespräch Trotz allem heiter: die Hamburger Comic-Künstlerin Maren Amini
Ihre Figuren haben etwas sehr Liebenswertes und bewahren bei allen Tiefschlägen immer eine gewisse Heiterkeit: die Illustratorin und Comic-Autorin Maren Amini zeichnet mit spitzer Feder für die verschiedensten Medien vom „Spiegel“ über „Die Zeit“ bis zur „Washington Post“. Zusammen mit ihrem Vater hat sie den Comic „Ahmadjan und der Wiedehopf“ realisiert, der bereits mit Comicbuchpreis ausgezeichnet und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde.
Ein Vater-Tochter-Projekt gegen die Ohnmacht.
Der Band erzählt die Geschichte ihres Vaters, der 1972 als junger, abenteuerlustiger Mann nach Deutschland kommt und Künstler wird. Nach vielen Abstechern durch halb Europa kehrt er in seine Heimat nach Afghanistan zurück und erlebt ein von inneren und äußeren Spannungen zerrissenes Land. Die Erlebnisse ihres Vaters habe sie schon lange aufschreiben wollen, erzählt Maren Amini. Doch erst die erneute Machtübernahme der Taliban im August 2021 brachte das Projekt ins Rollen. „Wir waren überwältigt von diesen hilflosen Gefühlen und wollten ins Machen kommen“, erklärt die Comic-Künstlerin.
Ein berührender Comic voller Wärme und Anteilnahme.
Die Graphic Novel „Ahmadjan und der Wiedehopf“ erzählt von einem inzwischen untergegangenen liberalen Afghanistan. In Kabul treffen verschiedenste Musik- und Kunstströmungen aller Kontinente zusammen. Das Land ist in diesen 1970er Jahren ein beliebtes Reiseziel für Hippies aus der ganzen Welt. Maren Amini versteht es grandios, mit wenigen, luftigen Strichen die sorglosen, aber auch die dunklen Zeiten einzufangen. Auf einer zweiten Ebene dieses Comics schwingt die persische Erzählung von „der Konferenz der Vögel“ mit – eine 800 Jahre alte Fabel, in der die Vögel nach einem Zufluchtsort, nach Frieden, suchen.