Buchkritik

Zach Williams – Es werden schöne Tage kommen

Stand

Von Autor/in Ulrich Rüdenauer

Alle paar Jahre taucht ein neuer amerikanischer Autor auf, dessen Debüt große Erwartungen weckt und an literarische Größen erinnert. Zach Williams begeistert mit seinem Erzählungsband „Es werden schöne Tage kommen“.

Wir leben in Zeiten, in denen das Groteske alltäglich wird. Politik und Tech-Industrie liefern absurde Wendungen, die selbst Horrorfilme alt aussehen lassen. In den letzten Jahrzehnten war es eher umgekehrt: Die Fiktion übersetzte unsere unbewussten Ängste und Fantasien in drastische Erzählungen. Heute kann sie kaum noch mit der Realität Schritt halten.

Zach Williams‘ Debüt mit dem euphemistischen Titel „Es werden schöne Tage kommen“ ist ein bemerkenswerter Erzählungsband, zugleich anachronistisch und komplett gegenwärtig. Er knüpft an die Tradition psychologischer Albtraum-Geschichten an, in denen das Vertraute plötzlich unheimlich wird und die Grenze zur Dystopie fließend ist.

Autoren wie George Saunders oder Cormac McCarthy kommen einem in den Sinn, wenn man diese zehn, von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz meisterhaft übersetzten Storys liest. Zugleich brodelt in ihnen etwas – ein Echo unserer unsicheren Gegenwart.

Ich flog durch die Tür zur Lobby und blickte mich dann keuchend zum Unwetter um. Es war schlimm da draußen. Die Stadt bestand nur noch aus vagen Umrissen und schwebenden Lichtern; der Schnee trieb in Wellen über die Nineteenth Street.

Der Auftakt: ein düsterer Probelauf

„Probelauf“ heißt die Auftakterzählung, die 2022 in der Paris Review erstmals erschienen ist. Der Erzähler sucht mitten in einem gewaltigen Schneesturm seinen Arbeitsplatz auf, ein fast verlassenes Bürogebäude. Nur Manny ist da, ein Wachmann mit bizarren Ansichten und einem Hang zur Paranoia.

Abgeschirmt von der zugeschneiten Welt draußen, wird es drinnen immer ungemütlicher, klaustrophobischer, bedrohlicher. Ein weiterer Kollege erscheint, der den Erzähler in ein allzu intimes Gespräch verwickelt, das ihn unangenehm berührt. Es ist immer wieder die Rede von mysteriösen Mails, von einer dunklen Macht, aber alles bleibt im Vagen.

Sie waren Mitglieder eines eigenartigen Bunds, die einander instinktiv erkannten, Blicke wechselten, sich heimlich auf etwas vorbereiteten, vielleicht nicht mal auf das Gleiche, aber gleich in ihrem Sinnen und Trachten. Und mich hatten sie als einen von ihnen ausgemacht.

Das Unbehagen unserer Zeit

Ein Gefühl der Unsicherheit und Unfassbarkeit durchzieht die Geschichten von Williams. Ein Schatten legt sich über die Figuren, kontrolliert sie, ist aber nie recht zu fassen. Es ist da ein zeitgenössisches Unbehagen, spätestens seit der Corona-Pandemie ein sehr konkretes Gefühl.

Williams‘ Erzähler sind oft Angeschlagene, leicht aus der Bahn Geworfene, obwohl sie sich vermeintlich feste Strukturen geschaffen haben. So auch in „Das Sauerkleehaus“: eine dreiköpfige Familie erwacht in einer idyllischen, abgelegenen Waldhütte. Weder wissen sie, wie sie dort hingekommen sind, noch von wem sie jeden Tag mit den notwendigsten Lebensmitteln versorgt werden. Es gibt keine anderen Menschen, keine wechselnden Jahreszeiten, keine Möglichkeit, anderswo hinzugelangen.

Jacob war der Meinung, am besten käme man der Situation durch Zahlen, Fakten, Aufzeichnungen auf den Grund – kurz, durch alles, was sich irgendwie beobachten und festhalten ließ, denn nur auf diese Weise konnten Rätsel gelöst werden. Ronna dagegen vermutete, dass dieser Ort nicht solchen Regeln folgte.

Noch gespenstischer wird es, als Sohn Max einfach nicht altert, während Jacob und Ronna älter werden und sich mehr und mehr entfremden. In einem der längsten Texte – „Ghost Image“ – verwandelt sich der Sohn des Erzählers insgeheim in dessen früheren Boss Joe Daly, einen Ausbund an Gewöhnlichkeit, der zu einer Art Symbol des Scheiterns wird.

Die Geschichte steuert auf einen Ausflug in ein apokalyptisches Disney World zu – dorthin, „wo Träume wahr werden“. Allerdings ist das Schild mit dem Slogan übermalt und lautet nun: „wo Träume absterben“.

Choreografie des Absurden

In einer anderen Erzählung findet ein Mann seine tote Nachbarin in ihrer Wohnung, im Sessel vor dem Fernseher. Plötzlich bemerkt er einen maskierten Fremden in der Wohnung, es beginnt eine kafkaesk anmutende Verfolgungsjagd. Die absurde Situation scheint sich endlos hinzuziehen.

Ich geriet in Panik. Er bewegte sich am Fernseher vorbei, aufs Fenster zu. Unser Kreislauf war ununterbrochen. Die Wiederholung hatte den Charakter eines Albtraums. Ich sagte ihm, er würde verhaftet werden, aber es kam in einem flehentlichen Ton heraus, und ich war mir auch nicht sicher, ob ich es selbst glaubte. Die Polizei, die gleich diese Treppe heraufkommen würde, in diese Situation hinein – das waren zwei unvereinbare Realitäten. (…) Ich wollte zu Boden sinken und den Kopf zwischen die Knie stecken, aber ich hatte den furchtbaren Gedanken, dass er einfach immer weitermachen könnte mit seinem absonderlichen Verhalten und jede neue Runde ihn dann an mir vorbeiführen würde.

Nichts ist sicher, nichts stabil

Kleinstädtischen und kleinbürgerlichen Lebenswelten stellt Williams jene Unorte entgegen, in denen eigene oder gar keine Regeln mehr gelten – ein heruntergekommener Freizeitpark, ein verlassener Bürokomplex, eine Wüstenlandschaft.

Die Figuren werden davon magisch angezogen, vielleicht weil sie sonst aus ihrem Sackgassendasein keinen anderen Ausweg finden. Oder sie werden durch eine unscheinbare Begegnung auf Abwege geführt. David Lynch lässt grüßen, wenn ein verwachsener Mann –

Er war einfach ein kleines, seltsames Ding.

– aus dem Schrank heraus seiner attraktiven Frau beim Liebesspiel mit dem Erzähler zusieht. Nikolaj Gogol schaut über die Schulter, wenn einem kleinen Kind über Nacht ein weiterer Zeh wächst und sein Vater in einen Strudel irrationaler Gedanken gerät.

Williams’ grotesk-fantastische Geschichten spiegeln unsere spätmoderne Welt wider – eine Zeit, in der Künstliche Intelligenz Kreativität simuliert, in der liberale Gewissheiten langsam zerbröckeln und traditionelle Strukturen zerfallen.

Mit subtilem Grauen, surrealem Humor und gnadenloser Präzision fängt dieser Erzählband das Gefühl ein, den eigenen Platz in dieser unsicheren Realität zu verlieren. Zach Williams‘ Erzählungen verstören – und bleiben lange im Gedächtnis.

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